Gemeinschaft der
Wohnungseigentümer
kann per Beschluss
bestimmte Wohnungseigentümer
mit Kosten belasten
oder von Kosten befreien
BGH, Urteile vom 22.03.2024, Az. V ZR 81/23 und V ZR 87/23
Leitsätze V ZR 81/23:
1. Die Vorschrift des § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG begründet die Kompetenz der Wohnungseigentümer, für einzelne Kosten oder bestimmte Arten von Kosten der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer eine von dem gesetzlichen Verteilungsschlüssel oder von einer Vereinbarung abweichende Verteilung zu beschließen. Das gilt auch dann, wenn dadurch der Kreis der Kostenschuldner verändert wird, indem Wohnungseigentümer von der Kostentragung gänzlich befreit oder umgekehrt erstmals mit Kosten belastet werden.
2. Beschließen die Wohnungseigentümer für einzelne Kosten oder bestimmte Arten von Kosten der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer eine Änderung der bisherigen Verteilung, dürfen sie jeden Maßstab wählen, der den Interessen der Gemeinschaft und der einzelnen Wohnungseigentümer angemessen ist und insbesondere nicht zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung Einzelner führt. Werden Kosten von Erhaltungsmaßnahmen, die nach dem zuvor geltenden Verteilungsschlüssel von allen Wohnungseigentümern zu tragen sind, durch Beschluss einzelnen Wohnungseigentümern auferlegt, entspricht dies jedenfalls dann ordnungsmäßiger Verwaltung, wenn die beschlossene Kostenverteilung den Gebrauch oder die Möglichkeit des Gebrauchs berücksichtigt.
Leitsätze V ZR 87/23:
Beschließen die Wohnungseigentümer eine Änderung der Kostenverteilung für eine einzelne Erhaltungsmaßnahme, muss nicht zugleich eine entsprechende Regelung für alle künftigen gleich gelagerten Fälle beschlossen werden (Abgrenzung zu Senat, Urteil vom 18. Juni 2010 - V ZR 164/09, BGHZ 186, 51 Rn. 17 ff.).
Hintergrund:
Mit der Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes im Jahr 2020 hat der Gesetzgeber die Möglichkeiten der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, per Beschlussfassung eine vom Gesetz oder der Gemeinschaftsordnung abweichende Kostenverteilung zu beschließen, erweitert. Damit wurde das bisherige System aufgegeben, das je nach Kostenart unterschiedliche Voraussetzungen für eine Beschlussfassung im Einzelfall vorsah.
§ 16 Abs. 2 S. 2 WEG erlaubt es nun, eine Abweichung vom gesetzlichen Umlagemaßstab (Verteilung nach Miteigentumsanteilen) oder einem in der Gemeinschaftsordnung festgelegten Verteilungsmaßstab für alle Kostenarten zu beschließen. Ausgenommen sind nur Kosten baulicher Veränderungen.
Umstritten war zuletzt allerdings, ob die neue gesetzliche Regelung es nur erlaubt, über das „Wie“ der Kostenverteilung innerhalb des Kreises der bisherigen Kostenschuldner abzustimmen, oder ob sie auch eine Beschlusskompetenz für die Frage des „Ob“ einräumt. Kurz: Fraglich war, ob die Gemeinschaft auch einzelne Eigentümer, die bisher von bestimmten Kosten ganz ausgenommen waren, erstmals belasten kann, bzw. bestimmte Eigentümer auch von der Kostentragungspflicht befreien kann.
Die Aussage des BGH:
Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer darf auch über das „Ob“ der Kostentragung entscheiden. Folglich können einzelne Eigentümer per Beschluss von bestimmten Kosten befreit oder mit solchen Kosten erstmals belastet werden.
Voraussetzung ist aber, dass ein solcher Beschluss ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht. Die Kosten dürfen also nicht willkürlich verteilt werden. Vielmehr muss ein Kostenverteilungsmaßstab gewählt werden, „der den Interessen der Gemeinschaft und der einzelnen Wohnungseigentümer angemessen ist und insbesondere nicht zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung Einzelner führt“.
Demnach entspricht es jedenfalls ordnungsgemäßer Verwalter, wenn die beschlossene Kostenverteilen den Gebrauch oder die Möglichkeit des Gebrauchs berücksichtigt.
Nicht erforderlich sei es, schon bei der erstmaligen Beschlussfassung über eine abweichende Kostenverteilung eine entsprechende Kostenverteilung für gleich geartete künftige Fälle zu treffen.
Die Fälle:
Fall 1 (Az. V ZR 81/23):
Eine WEG verfügt über eine Tiefgarage mit Doppelparkern. Die hydraulischen Hebeanlagen sind Gemeinschaftseigentum. Nach der Gemeinschaftsordnung der Teilungserklärung sollten alle Erhaltungskosten von allen Eigentümern gemäß dem Verhältnis der Miteigentumsanteile gemeinschaftlich getragen werden.
2021 fassten die Eigentümer den Beschluss, dass die Kosten für Sanierung, Reparatur, Unterhaltung und Modernisierung allein von den jeweiligen Teileigentümern der Doppelparker zu zahlen sind und nicht mehr von allen Eigentümern.
Der Kläger, einer der betroffenen Teileigentümer, wehrte sich mit Beschlussanfechtungsklage gegen den Beschluss, der – entgegen der Regelung in der Teilungserklärung – die anderen Eigentümer von der Kostentragungslast befreite.
Die Entscheidung: Ohne Erfolg!
Der BGH stellt klar, dass die Neuregelung des § 16 Abs. 2 S. 2 WEG der Gemeinschaft der Eigentümer einen weiten Gestaltungsspielraum einräumt.
Hatte der BGH noch zur alten Regelung geurteilt, dass diese nur eine andere Verteilung innerhalb des bisherigen Kreises der Kostenschuldner beschließen durften (also nur über das „Wie“ der Kostenverteilung), gilt diese Einschränkung mit der seit 2020 geltenden Neufassung des § 16 Abs. 2 S. 2 WEG nicht mehr.
Die Gemeinschaft der Eigentümer ist also berechtigt, den Kreis der Kostenschuldner zu erweitern (also erstmals eine Kostenbeteiligung von bestimmten Eigentümern zu begründen) oder diesen zu beschränken (also die Kostenlast auf weniger Schultern zu verteilen).
Das ergebe sich schon aus dem Gesetzeswortlaut. Danach „können“ die Wohnungseigentümer eine „abweichende Verteilung beschließen“. Das Wort „können“ definiere dabei die Beschlusskompetenz.
Ziel des Gesetzgebers sei es gewesen, den Eigentümern einfacher als bisher eine „nach den Umständen des Einzelfalls angemessene Kostenverteilung“ zu ermöglichen.
Der Gesetzgeber habe bewusst auf Beschränkungen und inhaltliche Vorgaben verzichtet. Denn der gesetzliche Verteilungsmaßstab nach Miteigentumsanteilen gewährleiste zwar „ein hohes Maß an Verteilungsgerechtigkeit“, ihm sei aber „keine besondere Verteilungsgerechtigkeit immanent“.
„Ordnungsgemäße Verwaltung“ als Maßstab
Das „Können“ einer solchen Beschlussfassung erlaubt es aber der Gemeinschaft nicht, die Kostenverteilung willkürlich vorzunehmen. Vielmehr muss der Beschluss auch ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen.
Laut BGH dürfen dabei an die Auswahl eines angemessenen Kostenverteilungsschlüssels nicht zu strenge Anforderungen gestellt werden. Ausreichend sei ein Maßstab, der „den Interessen der Gemeinschaft und der einzelnen Wohnungseigentümer angemessen ist und insbesondere nicht zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung Einzelner führt“.
Diese Voraussetzungen seien jedenfalls dann eingehalten, wenn die beschlossene Kostenverteilung „den Gebrauch oder die Möglichkeit des Gebrauchs berücksichtigt“.
Im vorliegenden Fall entsprach der Beschluss ordnungsgemäßer Verwaltung, weil nach der Beschlussfassung der Eigentümer eben gerade diejenigen Eigentümer auch mit den Kosten belastet, denen die Erhaltung dieses Teils des Gemeinschaftseigentums (Hebeanlage der Doppelparker) auch zugutekommt.
Fall 2 (V ZR 87/23):
Der Kläger ist Eigentümer einer Dachgeschosswohnung, die über (defekte) Dachflächenfenster verfügt.
Dachflächenfenster sind Gemeinschaftseigentum, so dass die Reparatur grundsätzlich in die Beschlusskompetenz der Gemeinschaft fällt.
Die Gemeinschaft der Eigentümer beschloss im August 2021, die defekten Dachflächenfenster auszutauschen, dazu eine Fachfirma zu beauftragen, wobei die anfallenden Kosten vom Kläger finanziert werden sollten.
Der Kläger wandte sich mit der Beschlussanfechtungsklage nur gegen die für ihn nachteilige Kostenverteilung, die ja die übrigen Eigentümer ausnahm, obwohl die Fenster Gemeinschaftseigentum sind.
Der Kläger moniert darüber hinaus, dass die Gemeinschaft nicht gleichzeitig einen Beschluss gefasst hat, wonach bei künftigen gleich gelagerten Fällen ebenso zu verfahren ist. Das widerspreche dem Grundsatz ordnungsgemäßer Verwaltung.
Die Entscheidung:
Der Kläger hat keinen Erfolg!
Der BGH verwies zunächst auf die Gemeinschaft der Eigentümer – wie im obigen Fall entschieden – einen weiten Entscheidungsspielraum habe und durchaus einzelne Eigentümer von der Kostentragungslast ausnehmen kann. Dies entspreche ordnungsgemäßer Verwaltung, wenn – wie hier – die Kostenverteilung den Gebrauch oder die Möglichkeit des Gebrauchs berücksichtige (die Dachflächenfenster kommen nun einmal nur dem Gebrauch des Klägers zugute).
Es widerspreche auch nicht ordnungsgemäßer Verwaltung, dass die Gemeinschaft nicht gleichzeitig einen Vorratsbeschluss für gleich geartete künftige Fälle zu treffen.
Zwar hatte der BGH noch zum „alten“ WEG entschieden, dass eine abweichende Kostenverteilung quasi zu einer verdeckten Änderung der Teilungserklärung führen kann. Denn wegen des im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung zu beachtenden Gleichbehandlungsgrundsatzes sei die Gemeinschaft gezwungen, gleichartige Kostenverteilungen auch in Zukunft vorzunehmen. Da die frühere Gesetzeslage nur eine Kostenverteilung im Einzelfall zuließ, war eine solche „verdeckte Änderung der Teilungserklärung“ unzulässig.
Diese enge Betrachtungsweise sei jedoch nach der neuen Gesetzeslage nicht mehr notwendig. Jedenfalls für die erstmalige abweichende Festlegung der Kostenverteilung sei der „Grundsatz der Maßstabskontinuität“ nicht von Bedeutung.
Die neue Fassung des § 16 Abs. 2 S. 2 WEG verzichte bewusst auf Beschränkungen und inhaltliche Vorgaben. „Dem liefe es zuwider, wenn bei einer Beschlussfassung über eine abweichende Verteilung einzelner Erhaltungskosten zugleich eine Regelung für alle künftigen gleich gelagerten Fälle zu treffen wäre“.
Ob und in welcher Weise die jetzt beschlossene Kostenverteilung bei künftigen Fällen zu berücksichtigen sei, könne hypothetisch gar nicht beurteilt werden.
Letztendlich bleibt die Prüfung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bzw. der Maßstabskontinuität den künftigen Fällen von Kostenverteilungen vorbehalten.
Fazit und Praxistipp:
Mit der neuen gesetzlichen Regelung wird die Beschlusskompetenz der Gemeinschaft der Eigentümer gestärkt. Die Eigentümer können und sollen nach dem Willen des Gesetzgebers einfacher als bisher eine nach den jeweiligen Umständen sinnvolle und gerechte Kostenverteilung beschließen können (vgl. BT-Drucks. 19/18791).
Das gebietet es dann aber auch, gerade bei Folgebeschlüssen über gleich geartete Fälle den Grundsatz der „ordnungsgemäßen Verwaltung“ bzw. der „Maßstabskontinuität“ zu beachten. Der BGH hat hier bislang nur für den „Erstbeschluss“ kein Problem gesehen. Es sollte der Gemeinschaft klar sein, dass die Änderung der Kostenverteilung Auswirkungen auf Folgebeschlüsse in ähnlich gelagerten künftigen Fällen haben kann, wobei die jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind.
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