Verteilung des Pandemierisikos in der Gewerberaummiete Umfang- und Detailierungsgrad eines ordnungsgemäßen Bedenkenhinweises

„Zukunftsmusik“ im privaten Bau- und Architektenrecht

Trotz Pandemieeinschränkungen konnte der 8. Baugerichtstag dieses Jahr in Hamm stattfinden. In verschiedenen Arbeitskreisen wurden die Entwicklungen des privaten Baurechts und des Bauprozessrechts diskutiert. Ziel ist eine interessengerechte Fortbildung der gesetzlichen Vorschriften. Die Arbeitskreise haben hierzu verschiedene Empfehlungen in den Rechtsbereichen Bauvertragsrecht und Baubetrieb (AK 1b / X), Architektenrecht (AK IV) und Bauträgerrecht (AK XII) ausgesprochen:

- Der AK Ib / X empfiehlt verschiedene gesetzliche Regelungen zu den häufigen Problemen gestörter Bauabläufe, insbesondere zur Vergütungsregelung auf Unternehmerseite. Die Zustandsfeststellung soll mehr Gewicht bekommen.

- Der AK IV empfiehlt verschiedene Ergänzungen der HOAI.

- Der AK XII beschäftigt sich mit dem Umfang der Dokumentationspflichten des Bauträgers. Die Abnahme des Gemeinschaftseigentums soll zur Angelegenheit der Wohnungseigentümergemeinschaft werden.

Die Empfehlungen der Arbeitskreise im Einzelnen haben wir nachstehend für Sie zusammengestellt, wobei hier nur die Empfehlungen abgebildet werden, die innerhalb der Arbeitskreise Zustimmung erfahren haben.

Quelle: www.baugerichtstag.de

 

Arbeitskreis Ib / X: Bauvertragsrecht – Baubetrieb

1. Der Unternehmer hat die von ihm zu erbringende Leistung zu den vereinbarten Zeiten zu beginnen, angemessen zu fördern und fertigzustellen. Soweit die Parteien keine Termine vereinbart haben, hat der Unternehmer die zu erbringende Leistung binnen angemessener Frist nach Vertragsschluss zu beginnen, zu fördern und fertigzustellen.

2. Der Unternehmer hat dem Besteller unverzüglich in Textform anzuzeigen, wenn er in der Ausführung der geschuldeten Leistung aus Gründen, die nicht in seinem Risikobereich liegen, behindert wird. Die Anzeige muss die Gründe der Behinderung und die zu diesem Zeitpunkt absehbaren Auswirkungen enthalten. Entsprechendes gilt im Falle eines Änderungsbegehrens gem. § 650 b BGB.

3. Die Ausführungsfristen verlängern sich, soweit Umstände, die nicht aus dem Risikobereich des Unternehmers stammen, auf den Bauablauf auswirken.

4. Der Unternehmer kann einen finanziellen Ausgleich für den Mehraufwand beanspruchen, der ihm infolge einer Behinderung entsteht, die durch Umstände aus dem Risikobereich des Bestellers verursacht wird.

5. In den Risikobereich des Bestellers gemäß Empfehlung Nr. 4 fallen: Leistungsänderungen, Mengenänderungen, Annahmeverzug oder Pflichtverletzungen des Bestellers.

6. Die Höhe des Ausgleichs für den Mehraufwand infolge einer Behinderung gemäß Empfehlung Nr. 4 richtet sich nach tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge für Allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn.

7. Der Unternehmer kann zur Berechnung des Ausgleichs gemäß Empfehlung Nr. 4 auf die Ansätze in einer vereinbarungsgemäß hinterlegten Urkalkulation zurückgreifen. Es wird vermutet, dass der auf Basis der Urkalkulation ermittelte Ausgleich dem Betrag entspricht, der sich auf Basis der tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge ermittelt.

8. Im Falle einer Behinderung ist jede Vertragspartei berechtigt zu verlangen, gemeinsam den Zustand der Baustelle, soweit dieser Grund oder Auswirkung der behaupteten Behinderung betrifft, binnen angemessener Frist festzustellen. Das Ergebnis ist in geeigneter Form zu dokumentieren.

9. Die Zustandsfeststellung wird wie folgt weiter ausgestaltet: Für das Fernbleiben einer Partei gilt § 650g Abs. 2 BGB entsprechend. Es wird vermutet, dass die Zustandsfeststellung richtig ist. Die vorstehenden Regelungen gelten entsprechend, wenn das Ende der Behinderung festgestellt werden soll.

 

Arbeitskreis IV: Architektenrecht

1. Die sog. „Zielfindungsphase“ des § 650p Abs. 2 BGB sollte in den Leistungsbildern der HOAI konkreter abgebildet werden, bspw. durch ein „Mitwirken an der Ermittlung der Planungs- und Überwachungsziele“ zur Erstellung der Planungsgrundlage und ein „Klären der finanziellen Rahmenbedingungen“ als Grundlage der Kosteneinschätzung.

2. Die Grundleistungen der Leistungsphase 2 (Vorplanung- Projekt- und Planungsvorbereitung) sollte auf ihren konzeptionellen Inhalt („versuchsweise zeichnerische Darstellung oder Strichskizzen“) zurückgeführt werden.

3. Die HOAI ist um erforderliche Leistungen zum Building Information Modelling (BIM) zu erweitern.

4. Die HOAI ist um Leistungen zum nachhaltigen, klimagerechten Bauen zu erweitern.

5. Die HOAI ist hinsichtlich weiterer erforderlicher Leistungen oder Leistungsbilder zu überprüfen und ggf. zu erweitern, zum Beispiel zum Bauen im Bestand oder Brandschutzplanung.

6. Die örtliche Bauüberwachung sollte in allen Leistungsbildern in die Grundleistungen aufgenommen werden.

7. Das Leistungsbild Tragwerksplanung sollte um Leistungen der Objektüberwachung als Grundleistung ergänzt werden.

8. Die Honorartafeln sollten über die bisherigen Tafelwerte hinaus erweitert werden.

9. Das Kostenberechnungsmodell soll auf ein zweistufiges Kostenermittlungsmodell zurückgeführt werden, wobei § 10 HOAI unberührt bleiben soll.

10. Ein Trennungstatbestand in Anlehnung an § 21 HOAI 1996 („zeitliche Trennung“) sollte wieder aufgenommen werden.

11. Die Bewertung der mitzuverarbeitenden Bausubstanz in § 4 Abs. 3 HOAI soll konkreter und nachvollziehbarer geregelt werden.

12. Soweit der Auftragnehmer Leistungen mehrerer Leistungsbilder zu erbringen hat, ist ein Generalplanerzuschlag in der HOAI vorzusehen.

13. Die Angemessenheit der Tafelwerte insbesondere in den flächenbezogenen Honorartafeln sollte überprüft werden.

14. Soweit im gesetzlichen Bauvertragsrecht eine Regelung für Ablaufstörungen vorgesehen wird, sollte deren entsprechende Geltung für den Architekten- und Ingenieurvertrag geprüft werden.

 

Arbeitskreis XII: Bauträgerrecht

1. Der Gesetzgeber wird aufgerufen, die „Bezugsfertigkeit“ im Gesetz selbst und abweichend vom bisherigen Verständnis mit höheren Anforderungen zu definieren, wenn an die „Bezugsfertigkeit“ Rechtsfolgen, wie zum Beispiel die Rückführung von Sicherheiten für den Insolvenzfall, geknüpft werden sollen.

2. Der Gesetzgeber wird aufgerufen, den Verweis auf § 650 m Abs. 2 und 3 BGB für den Bauträgervertrag beizubehalten.

3. Über die Verweisung in § 650u Abs. 1 Satz 2 BGB auf § 650n BGB hinausgehend bedarf es der gesetzlichen Niederlegung und Konkretisierung weiterer Dokumentationspflichten des Bauträgers, für deren Begründung wie für deren Reichweite der Umstand maßgeblich ist, dass Häuser oder vergleichbare Bauwerke als langlebige Wirtschaftsgüter bei bestimmungsgemäßer Verwendung im Laufe der zeit instandgehalten, modernisiert und modifiziert werden und der Besteller dafür verlässliche Informationen über ihre Beschaffenheit benötigt.

4. Im Rahmen der Konkretisierung sollte der Gesetzgeber dem Bauträger die Erstellung und Herausgabe von Unterlagen aufgeben, die der Besteller benötigt,

a) um die Elemente des Hauses oder vergleichbaren Bauwerks bedarfsgerecht zu pflegen und zu warten;

b) um typischen Verschleiß zu beheben sowie Schäden, die innerhalb überschaubarer Nutzungsdauer zu erwarten sind, zu reparieren;

c) um die gebäudetechnischen Anlagen zu reparieren, zu modernisieren oder zu erweitern; dazu gehören auch Verlegungspläne von Rohren und Leitungen.

d) Darüber hinaus sollte der Gesetzgeber dem Bauträger die Erstellung und Herausgabe von Unterlagen zur Dokumentation der (stand-) sicherheitsrelevanten Elemente des Bauwerks, der verwendeten Baumaterialien und – insbesondere wo entweder mehrere Bautechniken in Betracht kommen oder von den anerkannten Regeln der Technik abgewichen wird – der Bautechniken aufgeben.

e) Schließlich sollte der Gesetzgeber dem Bauträger die Erstellung und Herausgabe von Unterlagen zur Dokumentation von Elementen des Hauses oder vergleichbaren Bauwerks aufgeben, bezüglich derer bereits im Zuge der Vertragsverhandlungen auf die Möglichkeiten des Ausbaus, der Erweiterung oder der Veränderung hingewiesen wurde.

f) Dem Bauträger sollte erlaubt werden, bei seiner Dokumentation an die geschuldete und erteilte Baubeschreibung anzuknüpfen, soweit nicht von dieser abgewichen wurde. Keiner Dokumentation bedürfen jeweils Elemente des Hauses oder vergleichbaren Bauwerks, die für den Besteller, ggf. unter Hinzuziehung durchschnittlicher Fachleute, aber ohne zusätzlichen Aufwand erkennbar sind und daher von ihm nicht benötigt werden.

5. Der Gesetzgeber sollte bei Bauträgerverträgen die korrespondierende Berechtigung aus der zukunftsgerichteten Dokumentationspflicht des Unternehmers bezogen auf das Sondereigentum ausschließlich dem jeweiligen Erwerber zuweisen.

6. Der Gesetzgeber sollte bei Bauverträgen klären, dass es sich bei der korrespondierenden Berechtigung aus der zukunftsgerichteten Dokumentationspflicht des Unternehmers bezogen auf das Gemeinschaftseigentum um eine gemeinschaftsbezogene Pflicht handelt, die unmittelbar gegenüber der Wohnungseigentümergemeinschaft zu erfüllen ist. Insoweit sollte der Gesetzgeber klarstellen, dass die Wohnungseigentümer stets ein Recht darauf haben, Einsicht in die Unterlagen zu nehmen und Kopien davon zu erhalten.

7. Der Gesetzgeber sollte a) entweder die nach Ziffer 3 und 4 zu begründenden Dokumentationspflichten im Rahmen des § 650 n BGB für alle Verbraucherbauverträge aufstellen und es bei der Verweisung in § 650uAbs. 1 Satz 2 BGB belassen oder b) wenn die zu begründenden Dokumentationspflichten ausschließlich für Bauträgerverträge geregelt werden, in der Gesetzesbegründung klarstellen, dass die Niederlegung besonderer Dokumentationspflichten für den Bauträgervertrag die allgemeinen Dokumentationspflichten bei Verbraucherbauverträgen unberührt lässt.

8. Die Abnahme des Gemeinschaftseigentums soll das Ergebnis eines Willensbildungsprozesses in der Wohnungseigentümergemeinschaft sein.

9. Bei Wohnungseigentumsanlagen, die aus Reihenhäusern oder vergleichbaren Objekten bestehen, wird es den Parteien des Bauträgervertrags gestattet, eine individuelle Abnahme des gemeinschaftlichen Eigentums zu vereinbaren.

10. Voraussetzung für eine Beschlussfassung durch die Wohnungseigentümergemeinschaft zur Abnahme ist die Veräußerung von mindestens 50% der Einheiten, die mindestens 50 % der Miteigentumsanteile repräsentieren. Erklärt der Bauträger in den Erwerbsverträgen, eine bestimmte Anzahl an Wohnungs- bzw. Teileigentumseinheiten für mindestens drei Jahre nicht veräußern zu wollen, bleiben die Einheiten bei der Berechnung der Mindestanzahl außer Betracht.

11. Für die Abnahmeerklärung muss kein zeitlicher Rahmen vorgegeben und für die Fristsetzung nach § 640 Abs. 2 BGB muss keine Mindestfrist festgelegt werden.

12. Es sollte eine gesetzliche Fiktion geschaffen werden, nach der die Abnahme durch die Wohnungseigentümergemeinschaft auch für die Erwerber gilt, die erst später erwerben bzw. Miteigentümer werden.

 

Ulrike Vestner

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht

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