Aufklärungspflicht beim Immobilienverkauf besteht trotz Due Diligence
BGH, Urteil vom 15.09.2023 - V ZR 77/22
Der Verkäufer eines bebauten Grundstücks, der dem Käufer Zugriff auf einen Datenraum mit Unterlagen und Informationen zu der Immobilie gewährt, erfüllt hierdurch seine Aufklärungspflicht, wenn und soweit er aufgrund der Umstände die berechtigte Erwartung haben kann, dass der Käufer durch Einsichtnahme in den Datenraum Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand erlangen wird.
Der Fall:
Eine Firma hatte mehrere Gewerbeeinheiten gekauft. Im Kaufvertrag versicherte die Verkäuferin, dass keine Beschlüsse gefasst seien, aus denen sich eine künftig Sonderumlage ergebe und dass nach ihrer Kenntnis keine außergewöhnlichen Sanierungen bevorstehen, deren Kosten durch die Instandhaltungsrücklage nicht gedeckt seien. Weiter hieß es im Vertrag, die Verkäuferin habe der Käuferin Protokolle der Eigentümerversammlungen der vergangenen drei Jahre übergeben, und die Käuferin kenne den Inhalt der Unterlagen.
Im Rahmen der Kaufvertragsverhandlungen erhielt die Käuferin Zugang zu einem virtuellen Datenraum, den die Verkäuferin eingerichtet hatte und in welchem verschiedene Unterlagen zur Immobilie hinterlegt waren. Kurz vor Vertragsabschluss stellte die Verkäuferin das Protokoll einer Eigentümerversammlung vom 1. November 2016 in den Datenraum ein. Dieses Protokoll enthielt Informationen über eine mögliche Sonderumlage in Höhe von bis zu 50 Millionen Euro, die im Zusammenhang mit Umbaumaßnahmen am Gemeinschaftseigentum beschlossen worden war. Die Käuferin erfuhr erst nach Vertragsabschluss von dieser erheblichen Sonderumlage und hat den Kaufvertrag daraufhin wegen arglistiger Täuschung angefochten.
Die Entscheidung:
Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs konnte die Verkäuferin nicht die berechtigte Erwartung haben, dass die Klägerin das so kurz vor Abschluss des Kaufvertrags eingestellte Dokument noch einsieht, und hätte sie darüber in Kenntnis setzen müssen. Zudem komme unabhängig von einer Aufklärungspflicht der Verkäuferin ein Schadensersatzanspruch der Käuferin wegen einer unzutreffenden Erklärung der Verkäuferin in dem notariellen Kaufvertrag in Betracht.
Praxishinweis:
Das Urteil hat eine wichtige Bedeutung für den Prozess der Due Diligence ("sorgfältige Prüfung") bei Immobilientransaktionen. Die bisherige Praxis von Verkäufern, sich allein durch die Offenlegung von Unterlagen von jeder Haftung zu befreien, wird erheblich eingeschränkt. Verkäufern von Immobilien ist zukünftig dringend zu empfehlen, den Käufer über für die Kaufentscheidung wesentliche Umstände frühzeitig und eindeutig aufklären und sicherzustellen, dass der Käufer die relevanten Informationen tatsächlich auch zur Kenntnis nimmt (ggf. durch Nachfragen).
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